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Ulrich Barth: Aufgeklärter Protestantismus, Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), 2004. X, 423 S. ISBN 3-16-148321-9
Die Falk Wagner gewidmete Aufsatzsammlung enthält zwölf theologiegeschichtliche Studien. Teil I des Buches bietet Aufsätze über Martin Luther, Teil II über Pietismus und Aufklärung, Teil III über Schleiermacher. Bisher unveröffentlicht sind vier dieser Aufsätze sowie die Einleitung «Aufgeklärter Protestantismus und Erinnerungskultur« und eine den Band beschließende akademische Festrede unter dem Motto «Gedanken zur Zukunft des Protestantismus «. B. will diese Sammlung als historische Ergänzung seiner religionstheoretischen Untersuchungen verstanden wissen (VII).
Will man erfahren, was B. unter aufgeklärtem Protestantismus versteht, wendet man sich am besten dem dritten Teil des Buches zu. Es finden sich dort vier Aufsätze, die jeweils eine Schleiermacher'sche Hauptschrift (»Reden über die Religion», »Monologen«, »Glaubenslehre«, »Dialektik«) auf sehr ansprechende Weise rekonstruieren und interpretieren. Nicht nur der theologie- und philosophiegeschichtliche, sondern auch der soziologische und wirtschaftliche Hintergrund ist stets präsent. Es wird deutlich, dass Schleiermacher für B. der Bannerträger des aufgeklärten Protestantismus ist.
B. bezeichnet die »Reden« als Programmschrift des Neuprotestantismus, vgl. 288; aufgeklärter Protestantismus ist aber für B. nicht identisch mit der üblicherweise als Neuprotestantismus bezeichneten Ausprägung der Theologie.
Schleiermacher ist der Erbe der ambivalenten Hinterlassenschaft der Aufklärung: Er will die «epochalen Emanzipationsleisrungen, die die Aufklärung in ihrem Kern vollbracht hat«, anerkennen, jedoch auch ihre «innerkulturellen Folgelasten« überwinden. Diese bestehen darin, dass die Aufklärung mit der »Destruktion des metaphysischen Welt- und Geschichtsbildes mittelalterlich-christlicher Prägung zugleich die ethisch-religiösen Grundlagen der Bestimmung des Menschen in eine tiefe Krise gestürzt hat« (282). In Aufnahme der Metaphysikkritik, des Atheismusstreits und der Pantheismusdebatte versuche Schleiermacher, Religion «unter den Bedingungen der Moderne als eines nachtheistischen Zeitalters zur Geltung zu bringen« (279).
Diese Umformung führe zu einer folgendermaßen zu charakterisierenden Neuprägung der Theologie: Erstens, die Emanzipation der Religion von Wissenschaft, Politik und Moral entspricht einem Akt der sozialen Ausdifferenzierung (im Sinne von Herbert Spencer und Georg Simmel); zweitens, die Glaubensüberzeugungen werden entdogmatisiert zugunsten »der Spontaneität religiosen Erlebens»; drittens, die Abkoppelung des religiösen Erlebens von der Frage nach der Allgemeingültigkeit der Glaubensinhalte bejaht die Individualisierung der Religion, während die Erlebnisform der Religion ein universelles Element der conditio huntana bleibt; viertens, das Zusammenspiel jener Individualisierung und humaner Allgemeinheit der Religion begrimdet die «Norwendigkeit und Legitimität des religiösen Pluralismus«; und fünftens, die traditionelle Organisationsstruktur der...