Content area
Full Text
NICOLAS WERTH Die Insel der Kannibalen. Stalins vergessener Gulag. Siedler Verlag München 2006. 221 S.
Wie kann man das Grauen angemessen darstellen? Nicolas Werth hat hierbei Erfahrung. Als Mithrsg. des "Schwarzbuchs" hat er die eliminatorische Gewalt und den Terror des Kommunismus im Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit verankert. In seinem neuen Buch nimmt Werth die grausamen Ereignisse auf Nasino, einer kleinen unbewohnten Insel im Unterlauf des Ob' in der westsibirischen Region Narym zum Anlass, über den "anderen", den vergessenen Gulag zu berichten: die Millionen "Verbannter" und "Sondersiedler", die seit der Kollektivierung unter Stalin Ende der zwanziger Jahre in die entlegenen Regionen der Sowjetunion verschleppt wurden, um dort oft auf blanker Erde ausgesetzt zu werden. Mit Nasino zeigt Werth ein besonders brutales Beispiel der stalinistischen Politik. Man denke sich folgendes Experiment: Einige Tausend entkräfteter Menschen werden auf eine Insel von drei Kilometern Länge und einem Kilometer Breite im nördlichen Sibirien verbracht. Man gibt ihnen täglich nur eine Handvoll Mehl, was deren entkräftete Körper kaum mehr vertragen. Bald kontrollieren Kriminelle die Essensverteilung, so dass für viele überhaupt keine Nahrung bleibt. Die Menschen schlafen im Schnee und werden zudem von sadistischen Wachen terrorisiert. Aufgrund von Hunger und Kälte sterben täglich Hunderte. Vom Hunger in die Verzweiflung getrieben, beginnen schließlich einige, sich von den Leibern der Toten zu ernähren, andere töten sogar ihre Schicksalsgenossen, um diese zu verzehren. Das Ergebnis des grausigen Ereignisses: Nach einigen Wochen sind zwei Drittel der 6000 "Sondersiedler" tot. So geschehen auf Nasino im Jahre 1933. Die "Verbannten" stammten meist aus Leningrad und Moskau, wo sie zuvor als "sozialschädliche Elemente" verhaftet worden waren....