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Abstract
Die Anwendung einer externe und interne Merkmale berücksichtigenden Textsortendefinition, der Rückgriff auf die handschriftliche und gedruckte Überlieferung und nicht auf Editionen und das methodische Vorgehen von den hierarchisch gesehen größten Einheiten (den Makrostrukturen) über die Syntax zu den hierarchisch gesehen niedrigeren Einheiten (der Lexik) führt an ausgewählten Textexemplaren der Bibel, am Buch Genesis und am Matthäus-Evangelium, für die Handschriftentradition von a. 1456 bis a. 1483 (14 Textexemplare) und für die Drucktradition von a. 1466 bis a. 1545 (8 Textexemplare) zur Definition der beiden Textsorten '(Geoffenbarte) Erzählung' und '(Geoffenbarter) Bericht' mit jeweils zwei Textsortenvarianten.
(ProQuest: ... denotes formulae omitted.)
1. Erkenntnisziel und theoretische Grundlagen
Die biblischen Textsorten bilden neben denen der Liturgie, der Katechese, der Verkündigung einschließlich der Seelsorge, der Theologie und der Organisationseinheit der Kirche1 einen von sechs großen Kommunikationsbereichen der christlichen Religion. Wie für die übrigen fünf Kommunikationsbereiche stellt auch für die in der Bibel tradierten 72 Textexemplare, eine vollständige Gliederung nach Textsorten ein Desiderat der Forschung dar.2 Dies gilt für die Gegenwartssprache und noch mehr für die historischen Sprachstufen des Deutschen.
Für die historischen Sprachstufen des Deutschen wird in einer internationalen Kooperation nach einigen vorbereitenden Kongressen3 versucht, diese Lücke durch die Konzeption eines Handbuchs Textsorten und Textallianzen um 1500 wenigstens für diese Zeit unter ausdrücklichem Rückgriff auf handgeschriebene und gedruckte Überlieferungen und nicht nur auf Editionen zu schließen. Im Rahmen der Handbuchkonzeption wurde von einer Forscher(innen)gruppe in Berlin die Darstellung der religiösen Textsorten übernommen. Der Vorbereitung dieses Handbuchs und der Erprobung des diesem zugrunde gelegten Textsortenbegriffs dient auch die vorliegende Untersuchung, die dem zeitlichen Rahmen des letzten Kongresses folgend4 etwas weiter gefaßt ist und die Zeit von der Mitte des 15. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts umfaßt, eine Zeit, die nach St. Sonderegger "die Entscheidungsphase der dt. Bibelübersetzung auf den neuen textphilologischen Grundlagen der europ. Humanisten und des Buchdrucks"5 bildet.
Der Analyse wird folgende Textsortendefinition zugrunde gelegt: "Eine Textsorte ist eine nach dem Willen der beteiligten Kommunikationspartner abgeschlossene, komplexe α-Einheit, die aus einer begrenzten Auswahl, einer besonderen Kombinatorik und einem regelmäßigen Vorkommen von externen und internen a-Einheiten, den textuellen Merkmalen, besteht, die in konstituierender, identifizierender und differenzierender Sinnfunktion zu einem neuen, spezifischen Merkmalbündel zusammengeschlossen sind."6 Die externen Merkmale bestehen aus einer externen Variablenkonstellation aus Sprecher/Schreiber, Hörer/Leser, Ort und Zeit, von...