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Wer verstanden hat, was Gott ist, muß auch annehmen, daß Gott ist. Und wer die Existenz Gottes leugnet, hat gar nicht begriffen, wovon die Rede ist. Nur ein Tor kann dem Psalmisten zufolge auf den Gedanken kommen: Es ist kein Gott1. Daß der Atheismus schon aus begrifflichen Gründen eine Torheit ist, soll durch den berühmtesten aller Gottesbeweise gezeigt werden, der seit Kant der ontologische heißt. Er ist der denkwürdige Versuch, allein vom Begriff Gottes, also unabhängig von Erfahrung, auf Gottes Existenz zu schließen. Ob dieser Versuch gelingt, darüber herrscht seit annähernd tausend Jahren ein Streit, an dem sich fast alle bedeutenden Theologen und Philosophen beteiligt haben. Die Liste mit den Vertretern und diejenige mit den Kritikern des ontologischen Beweises enthält gleichermaßen illustre Namen. Auf der ersten Liste finden sich Namen wie Anselm von Canterbury, Bonaventura, Duns Scotus, Descartes, Spinoza, Leibniz und Hegel; auf der zweiten Liste solche wie Thomas von Aquin, Ockham, Gassendi, Hume, Kant, Schelling und Karl Barth. Im 20. Jahrhundert hat der ontologische Beweis in Norman Malcolm, Charles Hartshorne und Alvin Plantinga neue Verteidiger gefunden, während er in der europäischen Theologie und Philosophie zumeist kritisiert, fideistisch uminterpretiert oder schlicht ignoriert wurde.2
Im folgenden werde ich drei Versionen des ontologischen Beweises erörtern, nämlich erstens die von Anselm und Descartes vertretene Version, zweitens die Version, die vom Begriff Gottes als absolut notwendigem Wesen ausgeht, und drittens eine Version, die ich im Anschluß an Leibniz entwickle. Außerdem wird von den drei wichtigsten Einwänden gegen den ontologischen Beweis die Rede sein, und zwar vom sogenannten logischen Einwand, vom Einwand, der die Denkbarkeit Gottes bezweifelt, und schließlich vom Einwand Kants. Ich werde zeigen, daß der logische Einwand definitiv falsch ist und daß durch die beiden anderen Einwände zwar die erste und zweite, nicht aber die dritte Version des ontologischen Beweises widerlegt wird. Bei der dritten Version handelt es sich vielmehr, so lautet meine These, um einen gültigen Gottesbeweis.
I. Anselms Beweis und der logische Einwand
Wenn alle theologischen und philosophischen Schriften des Mittelalters verlorengegangen wären bis auf drei, dann wäre zu wünschen, daß Anselms Proslogion zu diesen dreien gehören würde. Das zweite und dritte Kapitel des Proslogion enthält eine der tiefsinnigsten Überlegungen der Theologiegeschichte, eben den ontologischen Beweis für die Existenz Gottes und die Undenkbarkeit seiner Nichtexistenz.
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